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Bindungsangst wieso leidet man darunter ?

Bindungsangst

Wenn Nähe Angst macht

 

Wortbedeutung und Definition

Das Wort Bindungsangst setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: Bindung und Angst.

Unter Bindung versteht man eine bindende Beziehung, eine Verpflichtung, eine innere Verbundenheit[1] ,umgangssprachlich auch eine Liebesbeziehung.

Angst ist ein Gefühl, das bei einer Bedrohung oder bei der bloßen Vorstellung davon in unserem Gehirn entsteht. Somit sichert Angst unser Überleben. Sie warnt uns vor großen Risiken und treibt uns dazu, Situationen, die Schmerz oder Tod zur Folge haben könnten, zu vermeiden. Im Gegensatz zur Furcht ist Angst gegenstandslos, sie braucht keinen spezifischen Auslöser und löst auch nicht unbedingt eine Reaktion aus. Angst kann die Persönlichkeit eines Menschen verändern und große Auswirkungen auf seine Handlungen und seine Motivation haben.[2]

Bindungsangst ist dementsprechend die Angst vor zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere Liebesbeziehungen mit der damit verbundenen Nähe und Vertrautheit.

Wie entsteht Angst?

Angst entsteht durch Konditionierung. Bei der klassischen Konditionierung erfolgt auf einen natürlichen Stimulus konsequent ein aversiver Stimulus, also ein negativer Reiz, der eine Vermeidungsreaktion auslöst. Hat der Mensch sich diese Verbindung eingeprägt, reicht der natürliche Stimulus aus, um eine Fluchtreaktion auszulösen.[3] Wird beispielsweise ein Kind, das sich bei seiner Mutter sicher und geborgen fühlt, von dieser grausam behandelt, wird das Kind irgendwann die Sicherheit und Geborgenheit mit dem Schmerz in Verbindung bringen und sich in Zukunft unwohl und ängstlich fühlen, wenn es eigentlich Sicherheit und Geborgenheit empfinden sollte.

Bei der instrumentellen Konditionierung werden bestimmte Verhaltensweisen, Sinneseindrücke oder Körperempfindungen mit einer furchterregenden Konsequenz assoziiert. Auch derartige Assoziationen können pathologische, also krankhafte, Ängste auslösen. Verliert ein Kind beispielsweise eine wichtige Bezugsperson, für die es sehr viel empfindet, könnte es seine Liebe mit dem Verlust der Bezugsperson in Verbindung bringen. In Zukunft könnte das Kind fürchten, jemanden zu verlieren, nur weil es diese Person sehr mag. Aus Angst vor dem Verlust würde das Kind also versuchen, niemandem solche Gefühle entgegenzubringen.

[1] Duden

[2] Lexikon der Neurowissenschaft, https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/angst/641

[3] I. P. Pawlow und J. B. Watson über die klassische Konditionierung.

Ursachen für Bindungsangst

Es gibt mehrere Auslöser für Bindungsangst. Immer sind negative Beziehungserfahrungen der Grund dafür. Diese negativen Erfahrungen können noch relativ jung sein, z. B. nach einer schmerzhaften Trennung von einem geliebten Menschen, oder auch so weit in der Vergangenheit liegen, dass sich der Betroffene gar nicht bewusst daran erinnert. Auch Matthew Erderlyi, Professor der Psychologie, sieht die Ursache pathologischer Angst in traumatischen Erinnerungen, die aus dem Bewusstsein gelöscht wurden.[4]

Besonders die ersten Lebensjahre sind sehr wichtig für die Entwicklung des Selbstwertgefühls, der Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen, und Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen.[5] Läuft in dieser prägenden Zeit etwas schief, ist also die Beziehung zur Mutter, zum Vater oder zu beiden Elternteilen gestört, kann ein Kind im späteren Leben Bindungsangst entwickeln. Ein unerfüllter Wunsch nach Geborgenheit, Vernachlässigung oder Zurückweisung durch die Eltern und Konflikte zwischen den Eltern beeinträchtigen die Eltern-Kind-Beziehung und erhöhen das Risiko des Kindes, im späteren Leben Beziehungsangst zu entwickeln.

Aber auch schmerzhafte Trennungen und traumatische Ereignisse aus jüngerer Vergangenheit können Beziehungsangst auslösen. Auch wenn sich Betroffene genau an das traumatische Ereignis erinnern und sich dessen Auswirkungen bewusst sind, ändert das nichts an der Tatsache, dass sie die Bindungsangst, wie andere Angststörungen auch, nicht alleine bewältigen können.

Auswirkungen

Viele Betroffene sind sich ihrer Angst gar nicht bewusst. Sie fühlen sich in Beziehungen oft unwohl, empfinden den Partner als „zu nah“ und die Beziehung als „zu eng“.

In einer Beziehung müssen Erwartungen erfüllt und Regeln eingehalten werden. Man darf nicht nur nehmen, sondern sollte auch geben, gar Opfer bringen und eigene Bedürfnisse zurückstellen. Diese Dinge lösen bei Menschen mit Bindungsangst besonders große Abneigung hervor, denn sie empfinden dies als Einengung und Freiheitsentzug.

Werden die Erwartungen in einer Beziehung nicht erfüllt, könnte der Partner enttäuscht sein und sich abwenden. In diesem Fall wiederholt sich für den Betroffenen das Trauma: Eine geliebte Person wendet sich ab. Um sich zu schützen und nicht verletzbar zu sein, ziehen Betroffene sich deshalb oft zurück und schaffen Distanz.

[4] Lexikon der Neurowissenschaft, https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/angst/641

[5] Christa Meves, Kinder- und Jugendpsychotherapetin und Autorin zahlreicher Bücher im Interview mit der FAZ, http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/familie/kindererziehung-die-ersten-drei-jahre-sind-grundlegend-1410316.html

Schöne Momente in einer Beziehung können Menschen mit Bindungsangst nur schwer genießen. Diese Momente führen ihnen die Bedeutung des Partners und ihre Abhängigkeit von diesem vor Augen. Das macht ihnen derartig Angst, dass sie den Partner regelrecht von sich stoßen.

Bindungsangst kann sich sogar in körperlichen Symptomen äußern wie Herzrasen, Anspannung, Schweißausbrüchen und Panikattacken.

Menschen mit Bindungsangst neigen oft zu Affären, Fernbeziehungen, Beziehungen, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind (z. B. mit Verheirateten) und zu kurzen Beziehungen, die immer enden, bevor es ernst wird. Sätze wie „Ich bin gerade nicht bereit für eine Beziehung“, „Ich möchte gerade keine Beziehung“, oder „Lass uns einfach mal sehen, wie alles kommt“ gehören ins Standardrepertoire von Menschen mit Bindungsangst.

Therapieansätze

Der erste Schritt zur erfolgreichen Therapie besteht in der Einsicht der Betroffenen. Nur wenn Betroffene einsehen, dass sie unter Bindungsangst leiden und etwas dagegen tun wollen, kann eine Therapie Erfolg haben.

Hat der Betroffene erkannt und anerkannt, dass er unter Bindungsangst leidet, sollte er sich professionelle Hilfe bei einem Psychologen oder Psychotherapeuten suchen. Mit einer professionellen Psychotherapie kann die Angst vor engen Bindungen gemindert und sogar besiegt werden. Im Zuge der Psychotherapie sollen Betroffene die Ursache ihrer Angst herausfinden. Diese negativen Erfahrungen werden dann mithilfe des Therapeuten aufgearbeitet, eine Voraussetzung für die Heilung der Angststörung.

Eine weitere Möglichkeit ist eine bewusste Auseinandersetzung mit der Angst. Der Betroffene begibt sich in Situationen, die ihm Angst machen, durchlebt sie und erfährt, dass seine Angst unbegründet war. Diese Art der Therapie ergibt aber nur in Verbindung mit einem Partner Sinn, der eingeweiht und bereit ist, dem Betroffenen über seine Bindungsangst hinwegzuhelfen. Andernfalls könnte es passieren, dass die Beziehung endet und sich der Betroffene in seiner Angst bestätigt fühlt.

Praktische Tipps im Umgang mit Betroffenen

Wer bei seinem Partner Bindungsangst vermutet, sollte sich mit dem Thema auseinandersetzen, um seinen Partner und dessen Beweggründe besser verstehen zu können. Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Distanz, die der Partner immer wieder schafft, nichts mit seinen Gefühlen zu tun hat, deshalb sollte man seine Handlungen nicht persönlich nehmen. Bei der Bindungsangst handelt es sich um eine Angststörung, die unabhängig von der Person des Partners und den Gefühlen des Betroffenen für den Partner auftritt.

Dennoch gibt es einige praktische Tipps, die den Umgang mit Betroffenen leichter machen:

  • Freiraum geben
  • Geduld haben
  • zusammen positive Beziehungserfahrungen sammeln
  • den Betroffenen so akzeptieren, wie er oder sie ist
  • keinen Druck ausüben
  • Kompromisse eingehen
  • keine allzu hohen Erwartungen stellen

Stefanie Stahl, Psychotherapeutin und Autorin, drückt das Dilemma in einer Beziehung mit einem Betroffenen folgendermaßen aus: „Eine Beziehung mit einem Bindungsphobiker hat nur eine Chance, wenn man aufhört, an ihr festzuhalten.“[6] Paradoxerweise wird eine Beziehung mit einem Betroffenen also erst dann möglich, wenn man bereit ist, die Beziehung zu beenden und den anderen gehen zu lassen.

[6] Stefanie Stahl im Interview mit Jennifer Köllen für Spiegel Online, http://www.spiegel.de/gesundheit/psychologie/bindungsangst-so-gehen-sie-mit-liebesphobikern-um-a-928132.html

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